Bei der Planung der neuen Jugendherberge lag ein großes Augenmerk auf der möglichen Nutzung durch Menschen mit Beeinträchtigungen. „Diese Jugendherberge ist ein Prototyp eines behindertenfreundlichen Gebäudes“, erklärt Wallisser. „Bewusst wird zwischen hilfsbedürftigen und nicht hilfsbedürftigen Nutzern unterschieden.“ Im Erdgeschoss finden sich 14 rollstuhlfreundliche Zimmer mit ebenerdigen Duschen, unterfahrbaren Waschbecken, erhöhtem Platzangebot und weiteren technischen Hilfsmitteln. Die Erschließung im Innen- und Außenraum ist schwellenlos ausgebildet und mit entsprechenden Leitsystemen ausgestattet. Die von Wallisser erläuterte Innovation lässt sich an der räumlichen Konfiguration und den Zimmermodulen ebenso ablesen, wie am Materialeinsatz und der Gestaltung.
Integrativ und hip
Jugendherbergen haben einen speziellen Ruf. Jedenfalls halten sich bestimmte Legenden lang, wie die vom roten, lauwarmen Hagebuttentee am Abend, der in großen Edelstahlkannen serviert wird. Auch wenn die Berührungspunkte mit einer Jugendherberge schon einige Jahre zurückliegen, die Erinnerung an knarzende Etagenbetten und schnarchende Zimmernachbarn bleiben wach. Dabei ist man beim Deutschen Jugendherbergswerk (DJH) schon lange im Hier und Jetzt angekommen. Moderne Häuser, attraktive Ausstattung, multimedialer Buchungskomfort, abwechslungsreiche Standorte: die Jugendherberge ist für Viele eine interessante Alternative zu Hotel, Ferienwohnung oder Campingplatz.
Neubau für die Zukunft
Mit der in 2017 neu eröffneten Jugendherberge im bayerischen Bayreuth geht man beim DJH einen Riesenschritt in Richtung Zukunft. „Neubauten“, sagt Winfried Nesensohn, Vorstand des bayerischen Landesverbandes des DJH, bei der Präsentation der Entwurfsplanung, „sind eher die Ausnahmen bei Jugendherbergen. Normalerweise modernisiert man im Bestand“. In Bayreuth hat man sich entschlossen, den vorhandenen Bau abzureißen, nachdem unmittelbar daneben ein futuristischer Neubau hochgezogen wurde. Aber der Reihe nach.
Jugendherberge der Zukunft
Bereits 2009/2010 beschäftigte man sich beim DJH mit der Frage, wie die Jugendherberge der Zukunft aussehen soll. Mit dabei waren die Architekten von LAVA – Laboratory for Visionary Architecture. Daraus entwickelte sich das erste Projekt für das Büro mit Sitz in Stuttgart, Berlin, Shanghai und Sydney: der Umbau des Haus Untersberg in der Jugendherberge Berchtesgaden von 2009 bis 2012. Schon damals überzeugten die Architekten mit ihrem Motto „More with Less“ und feierten mit der ersten Designjugendherberge Deutschlands ein „Mehr“ an Architektur mit „weniger“ Materialien, Energie, Zeit und Kosten.
Erlebbare Gemeinschaft
Einen ähnlichen Ansatz verfolgte man auch beim Neubau in Bayreuth. Für das 180-Betten-Haus wählten die Architekten als Grundform ein „Y“. Durch diesen „sternförmigen“ Grundriss entstanden Zwischenbereiche, die als Ruhe-, Sport- oder Verweilzone integrierter Bestandteil des Gebäudes wurden. Im Zentrum liegt das „Atrium“ als Vermittlungsschnittstelle zwischen den drei Armen. Es bildet zugleich die kommunikative „Mitte“, als Freiraum für Begegnung, Unterhaltung und Interaktion. Damit steht das Thema „Gemeinschaft erleben“ als Motto des DJH auch gestalterisch im Fokus. Von diesem kommunikativen Mittelpunkt aus entwickeln sich einzelne, zweigeschossige Funktionsbereiche. Die beiden rund 30 m langen Zimmerflügel richten sich nach Nordosten und Südosten aus. Im dritten Flügel finden sich die offene Küche mit Essraum, im Obergeschoss der Seminar- und Eventbereich sowie Terrassen. Über diese Bereiche ist der direkte Zugang zu den Sport- und Grünflächen der Erdgeschossebene möglich.
Eine starke Verbindung
In Nachbarschaft zur Universität und einem Freibad auf einem großzügigen Grundstück gelegen, unterstreicht die niedrige Gebäudehöhe die gewollte Integration in die Topographie. Insbesondere die Nutzung der Zwischenflächen zwischen den drei Armen als Sportfeld, Abenteuerspielplatz und Vegetationszone, sowie die unterschiedlichen Zugänge zu diesen Bereichen bewirken eine starke Verbindung des Neubaus mit der Umgebung.
Internationalität, Integration und Innovation
Kennzeichnend für das gestalterische Konzept sind drei „I“s, wie Tobias Wallisser von LAVA erläutert: „Internationalität, Integration und Innovation“. Als Europajugendherberge mit Sportprofil steht die Verbindung zu den Partnerstädten Bayreuths ebenso im gestalterischen Mittelpunkt, wie das Miterleben sportlicher Aktivitäten im Innen- und Außenraum. „Teile des Gebäudes werden zu Tribünen für das Geschehen auf den Sportanlagen im Außenraum“, so Wallisser.
Besonders flexibel
Auch bei der Bauweise ist Innovation das Thema: das Gebäude besteht aus einer hybriden Holz-Beton-Konstruktion, die den Einsatz lokaler Materialien und Techniken ermöglichte. Innenliegende Teile des Tragwerks, also Flurwände und Decken sind überwiegend aus Beton. Außenliegende Bauteile wie die Fassade, die Dachkonstruktion aber auch nichttragende Innenwände wurden als Holzkonstruktion ausgeführt. Vorteil dieser Hybridbauweise: optimiertes bauphysikalisches Verhalten und ein hohes Maß an Flexibilität. Die wärmedämmenden Bauteile ohne Wärmebrücken sind vorwiegend im Bereich der Gebäudehülle angeordnet, die notwendigen Speichermassen im Gebäudeinneren. „Die Bauweise des Gebäudes unterstützt eine spätere Umnutzung. Aus der Jugendherberge könnte ein Kindergarten, eine Schule oder ein Altenheim werden.“, so Tobias Wallisser.
Weiße Dachlandschaft
Auffallend auch das dynamisch geformte weiße Dach, dessen sichtbares, hölzernes Tragwerk zum Gestaltungselement wird. Es besteht aus Trägern, die außen und innen auf Wänden und entlang der Firstlinie und der Dachöffnung auf einem räumlichen Fachwerkträger aufliegen. Ein Trägergeflecht bildet die Sparrenebene, die im oberen Bereich die gekrümmte Dachfläche nachfährt. Über V-förmige Pfosten wurden die gegeneinander verschwenkten Trägerscharen in regelmäßigen Abständen verbunden, um eine räumliche Tragwirkung zu erzeugen. Umgesetzt hat das Tragwerk wie auch den gesamten Holzbau und alle weiteren Dach- und Fassadenarbeiten die Dieter Kohl GmbH aus Edelsfeld.
Weltweit bewährt
Abgedichtet wurde das dreiflügelige Dach mit der selbstklebenden Dach- und Dichtungsbahn EVALON® VGSK. Sie ist Teil des EVALON® Systems des Trierer Flachdachspezialisten alwitra. Kern dieses bewährten Abdichtungssystems ist die homogene Dichtschicht. Mit ihrer Hochpolymerlegierung aus Ethylen-Vinyl-Acetat-Terpolymer (EVA) und Polyvinylchlorid (PVC) kommt sie weltweit in allen Klimazonen bei einlagigen Abdichtungen zum Einsatz. Der hohe Anteil an hochpolymeren Feststoffen sorgt für gleichbleibende Eigenschaften und eine enorm hohe Lebensdauer der mittlerweile auf über 160 Mio. m² verlegten Bahnen.
Hell & glatt
Gleichzeitig wirkt die helle und glatte Oberfläche schmutzabweisend und reflektiert die Wärmestrahlung. Entsprechend des aktuellen FLL-Tests ist EVALON® durchwurzelungs- und rhizomfest und kann ohne zusätzliche Wurzelschutzbahn im begrünten Dachaufbau verlegt werden. Je nach Dachaufbau oder Nutzung sind die Dach- und Dichtungsbahnen EVALON unterseitig mit Polyestervlies als EVALON V, mit Glasvlies/Polyestervlies als EVALON VG sowie kaschiert und mit unterseitiger Selbstklebeschicht als EVALON VSK/ VGSK erhältlich.
Handwerkliche Details
Eine der Dachflächen wurde zusätzlich begrünt. Im dynamischen Übergang zwischen den Flächen und der Fassade dient eine verdeckte Rinne zur Entwässerung. Diese und andere gestalterische Elemente, wie z.B. die geschwungene Verbindung zwischen Dach und Terrassen, wurden handwerklich ausgebildet und mit EVALON VGSK abgedichtet. Das variabel einsetzbare Abdichtungsmaterial mit hochwirksamer Selbstklebeschicht ermöglichte zahlreiche Detaillösungen für das homogen wirkende Dach.
Begegnung steht im Mittelpunkt
Mit ihren 3.600 Quadratmetern Geschossfläche, 180 Betten und 45 Zimmern bietet der Jugendherbergsneubau in Bayreuth nicht nur ausreichend Platz, sondern setzt dank konsequenter Gestaltung auch auf Robustheit und Modularität. Klare Materialsprache, durchdachte Möblierung und kommunikative Schnittstelle im Atrium zeigen auf, wohin sich die Jugendherbergen in Zukunft entwickeln: hip, modern, integrativ, aber immer auf das Gemeinschaftserlebnis fokussiert.